ANTON LUTZ  –  DAS KÜNSTLERISCHE WERK

Peter Assmann

Bereits mit sieben Jahren begann Anton Lutz – wie er es selbst formulierte – “ die kleinen stillen Bilder meines Vaters zu kopieren“.  Erhaltene Skizzenbücher und kleinformatige farbige Studien in den Techniken Öl  auf Papier oder Leinwand bzw. Aquarell auf Papier aus den ersten Jahren des 20. Jahrhunderts bestätigen diese Angaben. Die frühen erhaltenen Skizzenbücher lassen auf eine intensive zeichnerische Tätigkeit des jugendlichen Künstlers schließen.  Er zeichnete immer in der Natur, widmete sich hier sowohl dem Studium von Naturformen – vor allem Pflanzen, Tieren, teilweise auch dem Menschen – als auch bereits dem Aufbau von Landschaftskompositionen. Diese Skizzenbücher zeugen von seinem intensiven Bemühen um zeichnerische Präzision in der exakten Setzung der Konturlinie der bezeichneten Form.  Es finden sich  zudem auch fallweise Ornamentübungen,  in denen er jugendstilartige Pflanzenarabesken entwickelt. Zudem wird eine immer stärkere Entwicklung zur Auseinandersetzung mit dem Augenblick, mit einer momentan wahrgenommenen Situation feststellbar.

Zentrale Bedeutung erhält jedoch zunehmend die Farbe. Anfänglich mehr als mit dem Pinsel gesetzte Kolorierung der zeichnerisch fixierten Komposition, finden sich nun ab etwa 1906 bereits Ölskizzen, die nur aus der Farbstruktur heraus aufgebaut sind.  In dieser Zeit gestaltet Anton Lutz allerdings auch Aquarelle, die sich noch mehr an einer durch graphische Akzente vorgegebenen Komposition orientieren.  In den frühen, vor 1910 entstandenen Bildern verwendet er  intensiv leuchtende, meist unvermischte Grün- und Gelbtöne; die Landschaftsszenen werden in breit gesetzten Farbbahnen formuliert. Immer dominanter  wird die Entwicklung hin zur Farbe, wobei ihn zunehmend die hellen, lichterfüllten Tönungen interessieren.

Bereits zu diesem Zeitpunkt zeigt sich das Werk des jungen Künstlers völlig unbeeindruckt von der Suche nach den Bildern im Menschen, von psychologisch determinierten Bildkombinationen.  Anton Lutz verstand seine Kunst nicht als Suche nach eigenen, phantastischen oder expressiven Bildfindungen, sondern als Suche nach dem Natureindruck.

Neben die Landschaft und vereinzelt das Stillleben tritt zu Beginn der zwanziger Jahre auch der Akt als Bildthema im Oeuvre des Künstlers auf.  1921 entsteht der früheste bisher bekannte Frauenakt in Öltechnik. Der Farbauftrag erfolgt in breiten Pinselstrichen und pastoser Schichtung.

Sein 1922/23  in München absolviertes Ausbildungsjahr war erfüllt von zwei Arbeitsschwerpunkten: Zum einen der  akademische Ausbildungsdrill des Aktstudiums bei Heinrich Knirr (1862 – 1944), zum anderen die immer wichtiger werdenden Malstudien in der freien Natur bei Constantin Gerhardinger (1888 – 1970),  der an der Münchner Akademie ausgebildet war.  Die Werke von Anton Lutz aus dieser Zeit werden in Kunstkritiken und Katalogtexten vielfach als den Gemälden von Carl Schuch (1846 – 1903) nahestehend bezeichnet. Beide Maler bauen den Gegenstand nur über die Malerei auf.  Schuchs Gemälde zielen vielfach auf einen abgehobenen ästhetischen Genuss der Farbe, bei Anton Lutz hingegen wirken die farbigen Lichterscheinungen um vieles sinnlicher erfahrbar.

Nach der Verarbeitung der vielfältigen Eindrücke des Münchner Ausbildungsjahres wendet Lutz nun seine zentrale Aufmerksamkeit verstärkt den Erscheinungsformen des Lichtes zu.  Im Gemälde „Hauptplatz von Linz“ 1925  erreicht der Künstler eine Verdichtung seiner diesbezüglichen Anliegen.  Er gestaltet die flimmernde Bewegung der Szene durch graphische Farbakzente, die er in eine weißleuchtende Untergrundfläche setzt und orientiert sich, wie stets,  an der Impression, an der Erscheinung des Lichtes, die er mit den unterschiedlichsten malerischen Mitteln möglichst direkt zu einem ästhetischen Erlebnis gesteigert vermitteln möchte.

Zu Beginn der zwanziger Jahre hat Anton Lutz bereits alle für sein malerisches Schaffen relevanten Bildthemen prinzipiell für sich entwickelt.   So finden sich Stillleben, Porträt und Frauenakt neben den schwerpunktmäßig gestalteten Landschaftskompositionen.

Ende der zwanziger-  und insbesondere zu Beginn der dreißiger Jahre lässt sich im Werk von Anton Lutz eine Hinwendung zu  einer verstärkten Darstellung der  Gegenständlichkeit erkennen.  Er verdichtet seine Farbschattierungen zu einer intensivierten Bezeichnung von Stofflichkeit.

Seit Beginn der dreißiger Jahre arbeitet Lutz verstärkt im Bereich des Porträts.  Geprägt durch das Bemühen um möglichst große Exaktheit der Oberflächenschilderung erscheinen die Bildnisse wie perfekte malerische Verkörperungen  der dargestellten Menschen.  Trotzdem wird das Porträt nie zu einem Spiel mit der Kunstfertigkeit einer malerischen Illusion, vielmehr  treten die Qualitäten der Farbzusammensteuerung stets gleichberechtigt  neben das Abbildhafte.  Die Spur des Farbauftrags bleibt sichtbar;  in malerischer Gestaltung erarbeitet der Künstler eine kompakte Wahrnehmungsfläche, die einen auf das äußere Erscheinungsbild des Dargestellten hin orientierten Reflektionsraum eröffnet. In der feinen Balance  zwischen präziser Beobachtung und Schilderung der individuellen Oberflächenmerkmale sowie der harmonischen und kraftvoll kombinierten Farbflächenräume,  zählen diese Bildnisse sicherlich zu den qualitativen Höhepunkten des bis dahin vorliegenden künstlerischen Werkes von Anton Lutz.

Bei seinen Frauenakten  hatte sich der Künstler bereits eine große Sicherheit in der Proportionierung der Körperform und im Aufbau einer interessanten, aber nicht gesucht kunstvollen Bildordnung erarbeitet.  Zur Steigerung des farblichen Eindrucks und der Helligkeit im Bild fügt er meist eine genau gesetzte Draperie hinzu. Diese  Partien der Darstellung  gestaltet er in lockerem Farbauftrag, während die Frauenkörper in lasierender Technik gemalt werden.

Bei den Blumenstillleben und Landschaftsbildern dieser Jahre dominiert in ähnlicher Weise eine Auseinandersetzung mit der Gegenständlichkeit, wobei der Künstler jedoch nie die Ausarbeitung  einer interessanten Lichtsituation außer acht läßt.  Vielfach intensiviert Anton Lutz  noch sein Bemühen um eine möglichst detailgetreue Wiedergabe.  Auch die bildnerische Wiedergabe schwieriger Materialwirkungen, wie etwa von Gläsern, bewältigt Lutz in effektvoll detaillierter Schilderung.

Wilhelm Jenny fasst die Werke aus der Zeit von 1935 bis in die ersten  Nachkriegsjahre als zweite Schaffensperiode des Künstlers zusammen und beschreibt sie folgendermaßen:  “   macht der stürmische malerische Elan und die Kühnheit des Frühwerkes einer beruhigten Gegenständlichkeit Platz.  Die farbensprühende,  kühle, impressionistische Palette wird dunkler, schwerer, goldtoniger,  der malerische Vortrag ruhiger und glatter.  Das Spiel der Augenblicksfarben und Reflexe weicht einer stärkeren Lokaltonigkeit.“

Das Jahr 1945 markiert die entscheidende Abkehr von der malerisch effektvollen Gegenstandsillusion der Gemälde aus den Jahren zuvor und schließt an die Arbeiten des Künstlers aus der Mitte der zwanziger Jahre an.  Die Farbwahl  beschränkt sich auf zwei dominante Tonschattierungen, die nuancenreich variiert werden.

Neben die Landschaftsmalerei tritt ab 1946 auch eine intensivierte künstlerische Auseinandersetzung  mit dem Freilichtakt,  der in den fünfziger und sechziger Jahren zum vorherrschenden Bildthema wird, wobei es Lutz gelingt, sich nie zu wiederholen.  Der Farbauftrag wird lockerer  und bewegter, ohne dass die Gegenständlichkeit der dargestellten Form verloren geht.  Der Objektbezug wird mit der immer freier gesetzten Farbstruktur mittransportiert.   Bis in die letzten Schaffensjahre beschäftigt sich Anton Lutz mit dem Frauenakt, auch in den späten Aquarellblättern findet sich dieses Bildthema. Die Farbe wird direkt und unvermischt aufgetragen, die gewählten Tonschattierungen sind auch in den weniger lichterfüllten Partien der Darstellung niemals dumpf oder dunkel, sondern  stets mit einer speziellen Leuchtkraft erfüllt.

„Jeder kann mit fünfundzwanzig Jahren Talent haben, worauf es ankommt, ist, mit fünfzig Talent zu haben“. (Edgar Degas)  Anton Lutz ist 1944 fünfzig Jahre alt geworden. Anstatt sich, wie es meistens bei Künstlern dieser Altersstufe zu beobachten ist, auf ein Alterswerk zurückzuziehen, drängt er vorwärts und sucht auf der Basis seines großen malerischen Talentes im Umgang mit der Farbe einen neuen, intensivierten Weg der künstlerischen Darstellung der für ihn relevanten Bildthemen und vor allem des Lichtes.  Ohne große Revolutionen oder Brüche in der Entwicklung seines Werkes gelingt es ihm, eine neue intensivierte Freiheit der künstlerischen Gestaltung zu erreichen und dabei die bisherigen Qualitäten seiner Arbeit nicht aufgeben zu müssen.
Diese neue Freiheit wird von Anton Lutz beständig ausgebaut. Er verdichtet seine Eindrücke, fasst sie zu kompakten, kraftvoll formulierten malerischen Erscheinungsbildern zusammen und konfrontiert sich immer mehr mit Fragen der Struktur und nach dem Dahinterliegenden.

Ließen sich bei den vor den fünfziger Jahren entstandenen Gemälden von Lutz einige Bezugspunkte  zu anderen Künstlern finden, so nehmen die nun entstehenden Arbeiten des Malers in ihrem eigenständigen Reifegrad eine deutlich selbständige Position ein.  Die Form wird zum Träger von Farbe und Licht, ohne dass einer der drei Aspekte zu sehr dominieren würde.  Auch wenn sich im Werk von Anton Lutz zunehmend Abstraktionsformen feststellen lassen, stellen seine Gemälde nie den Anspruch auf eine eigene, von der Objektschau unabhängige Bildwelt.   Subtil und kraftvoll wirken die Gemälde dieser Jahre im Festhalten der lichten Farberscheinung, geprägt durch die Suche nach einer nicht aufdringlichen ästhetischen Erkenntnis.

Mit fast 80 Jahren startet Lutz wiederum einen künstlerischen Neubeginn. Er wendet sich zu Beginn der siebziger  Jahre  vermehrt der Tuschzeichnung und dem Aquarell zu. Die hier erarbeiteten Qualitäten wurden auch in der Ölmalerei angewendet.  So zeigen die Ölgemälde aus den letzten Schaffensjahren eine weiter intensivierte Farbwirkung.  Anton Lutz erweist sich hier einmal mehr als beständig in seiner Entwicklung voranschreitender, ganz auf das Phänomen des Malerischen konzentrierter Künstler.

Die letzten Arbeiten des Künstlers datieren aus dem Jahr 1989.  Anton Lutz hatte nun ein Alter von 95 Jahren erreicht, als  ihm die altersbedingten Beeinträchtigungen  keine Fortsetzung  seiner künstlerischen Tätigkeit in der Qualität,  die seiner strengen Selbstkritik standgehalten hätte,  mehr ermöglichten.

Die Präzision der Gestaltung und die konsequent und stets kritisch reflektierte Arbeit kennzeichnen das lange Künstlerleben von Anton Lutz.  Ohne ausschließlich impressionistisch oder realistisch zu gestalten,  erarbeitet sich der  Künstler  die Beherrschung beider malerischen Möglichkeiten.  Die ästhetische Impression  ist für ihn immer mit dem Licht verbunden, dessen vielfältigen Erscheinungsformen er sensibel nachspürt.

„Und in der Farbe des Lichtes Tat erkennen.“ (Rudolf Steiner)

In seinen Gemälden macht Anton Lutz  die Farben des Lichtes zu den Hauptakteuren.  Er gestaltet die Freiheit des Lichtes,  jeden Gegenstand und jede Farbe „in einem anderen Licht“ erscheinen zu lassen.  Ohne sich von der konkreten Sinnlichkeit des Menschen zu entfernen,  ohne daher abgehoben zu wirken,  weisen seine Gemälde stets auf das Besondere,  auf die spezielle Schönheit der  jeweils ganz individuellen Darstellungs-Situation hin.  Der Gegenstand als Träger von Farbe und Licht erhält erst durch diese beiden Erscheinungskräfte sein individuelles Gepräge,  seine individuelle Schönheit.  Anton Lutz war stets ein Suchender nach dieser Schönheit, deren Eindruck er mit seiner Kunst immer wieder malerisch zu erfassen trachtete.

 

Auszug aus dem Buch von Peter Assmann:  ANTON LUTZ, Landesverlag 1992